An den Beispielen Smart Grid, Smart Cities, Automotive und Industrie 4.0 entwickelt das Team rund um Christian Neureiter gemeinsam mit Unternehmenspartnern Methoden, wie solche komplexen Systeme verlässlich entwickelt werden können. Josef Ressel Zentren zeichnen sich durch die Kooperation von Wissenschaft und Wirtschaft aus, die gemeinsam anwendungsorientierte Forschung vorantreiben. Christian Neureiter erklärt uns seine Forschung.
Sie forschen an cyber-physischen Systemen – was versteht man darunter?
Darunter versteht man eine Kombination aus Hardware und Software, zum Beispiel durch Software gesteuerte Produktionsanlagen oder autonom fahrende Autos. Ein kritischer Aspekt hierbei ist naturgemäß die Verlässlichkeit. Wenn zum Beispiel eine künstliche Intelligenz in einem Webshop dem Kunden schlechte Vorschläge macht, passiert nicht viel. Wenn sich aber die Software eines selbstfahrenden Autos irrt, dann können die Konsequenzen dramatisch sein. Es geht also darum, dass solche Systeme im Alltag verlässlich funktionieren. Um kritische Eigenschaften wie Zuverlässigkeit oder Sicherheit „by design“ zu berücksichtigen, müssen solche Systeme ganzheitlich und interdisziplinär betrachten werden. Das ist auch die Motivation für unsere Forschung: Wie können wir ein gemeinsames Verständnis über alle Disziplinen hinweg ermöglichen, um damit die Basis für Verlässlichkeit zu schaffen?
Was versteht man unter System-of-Systems?
Die fortschreitende Vernetzung birgt das Potential für eine intensivere Kooperation zwischen unterschiedlichen Systeme. Wenn sich Systeme zur freiwilligen Kooperation entscheiden um einen höheren Nutzen zu ermöglichen, spricht man auch von „System-of-Systems“. Ein Beispiel hierfür wäre eine Kooperation zwischen Stromnetz und Elektrofahrzeug, um den Ladevorgang smart zu gestalten.
Was wäre der höhere Nutzen bei unserem Beispiel Elektroauto – Stromnetz?
Das könnte zum Beispiel eine effizientere Nutzung des Stromnetzes bei gleichzeitiger Gewährleistung von Zuverlässigkeit sein. Durch ein preisgesteuertes Laden von Elektrofahrzeugen könnte es zum Beispiel zu vielen gleichzeitigen Schaltvorgängen kommen, wodurch sich im schlimmsten Fall unerwünschte Effekte wie Schwingungen im Netz ergeben. Man spricht hier von emergentem Verhalten. Um diesem Aspekt rechtzeitig zu begegnen ist die simultane Betrachtung von Fahrzeugen und Stromnetz erforderlich – was wiederum eine interdisziplinäre Kooperation zwischen Menschen aus der Automotive und der Stromnetz Domäne voraussetzt.
Was muss passieren, damit Systeme zusammenarbeiten können?
Systeme werden durch die Vernetzung mit anderen Systemen komplexer. Um das beherrschen zu können, muss man die Menschen im System zusammenbringen. Beim Kern unserer Forschung geht es daher eigentlich um Menschen. Diese sprechen unterschiedliche Fachsprachen, arbeiten mit unterschiedlichen Methoden, Taxonomien und Begriffen. Zum Beispiel hat der Begriff „Funktion“ in Software- und in Hardware-Engineering eine vollständig unterschiedliche Bedeutung. In unserer Forschung versuchen wir, einen einheitlichen Zugang zu erschaffen. Das kann man sich mit einer kleinen Analogie vom Hausbau vorstellen. Hier haben Architekt:innen, Elektriker:innen und Installateur:innen gelernt, mit 3D-Modellen miteinander zu arbeiten. Modellierung ist also eine Antwort auf Komplexität. Die Herausforderung hierbei ist es, ein einheitliches Modellierungskonzept zu finden.
Welche Rolle spielen die Industriepartner in der Forschung?
Unsere Industriepartner spielen eine ganz zentrale Rolle, nicht nur durch die Finanzierung unserer Forschung und den Input den sie liefern. Vielmehr haben sie auch einen wesentlichen Anteil daran, dass dieses Zentrum erst möglich wurde. Ein Antriebe für die Gründung des Zentrums war es ja, bereits vorhandene Kompetenz strukturell zu institutionalisieren. Ein Vorhaben, das bei unseren Partnern auf offene Ohren gestoßen ist und aktiv mitgetragen wurde. Besonders stolz sind wir auch auf die Mixtur unserer Partner. Neben den bekannten Global Playern Bosch und Siemens aus Deutschland haben wir mit der GeoConsult Gruppe und der Has to be GmbH auch zwei besonders innovationsstarke Salzburger Unternehmen an Board. Diese Partner bzw. die Kombination stellt einen fantastischen Nährboden für Innovation dar.
Wie wichtig ist Ihnen die Verbindung zur Industrie?
Sehr wichtig. Mein eigener Background ist ja auch industriell und ich bin eher aus Zufall in der Wissenschaft gelandet. Durch meine Tätigkeit bei der Salzburg AG im Rahmen der „Smart Grid Modellregion Salzburg“ ergab sich die Chance, mit der Gründung des ersten Josef Ressel Zentrums in Salzburg in den Hochschulbereich zu wechseln. Der Bezug zur Industrie ist mir aber nach wie vor sehr wichtig. Das ist auch der Grund, warum ich mir ein industrielles Standbein behalten habe. Einerseits erdet das unsere Arbeit, andererseits liefert das die Basis für Forschungsideen und Projekte. Diese Form der Zusammenarbeit setzt aber sehr viel Vertrauen voraus.
Was fasziniert Sie so an Systems Engineering?
Mich fasziniert, dass es eigentlich um das Zusammenbringen von Menschen geht. Als geborener Generalist habe ich es schon immer spannend gefunden, die einzelnen Puzzlestücke zusammenzubringen. Nicht nur technisch, sondern ganz besonders auch auf der menschlichen und organisatorischen Ebene. Und das ist eigentlich bei Systems Engineering auch das Spannende: Erfolgreiches Systems Engineering passiert nicht durch das Verordnen neuer Methoden, sondern ganz wesentlich auf der Integration der der beteiligten Menschen innerhalb einer Organisation. Es gibt ja den schönen Spruch: „Was unterrichtet ein Mathelehrer? Ganz einfach: Kinder.“ Und so ist es auch ein bisschen in Systems Engineering. Interdisziplinäre Entwicklung beginnt mit interdisziplinären Teams, also den Menschen, die zusammenarbeiten.